Abenteuer am Kap der Guten Hoffnung
Von Kapstadt zum
Kap der Guten Hoffnung sind es nur gut siebzig Kilometer.
Als wir am Tag nach der Ankunft in Kapstadt auf die kleine Fläche am Ende
der Asphaltstraße zum Kap fuhren, erkannten wir, dass hier das "Ende von
Afrika" ist. Vom Parkplatz führte uns der (um diese Zeit) menschenleere
Fußweg zu den Leuchttürmen.
Die schmale Kap-Halbinsel hat die Form einer Sense, deren Spitze ein
wenig gegen Südosten gewandt ist, als ob sie den Schiffen, die aus dem
Atlantik kommen, die Richtung nach Indien angeben wollte.
Wir standen am Rand eines schroffen Felsens, der einige hundert Meter
senkrecht ins Meer abfiel. Die Sonne sank langsam nach Westen, und Schatten
legten sich an die Ostwände des Kaps. Mit dem Fernrohrs war deutlich der
weiße Schaumstreifen zu sehen, den die Winde erzeugten, die von beiden
Seiten ständig das Kap umwehen, die symbolische Wasserscheide zwischen
Atlantik und Indischem Ozean.
Auf den Felsen sitzend, kamen wir mit einen älteren Herren ins Gespräch.
Es stellte sich bald heraus, das er einer der ehemaligen Leuchtturmwärter
war.
Der Wärter
blickte zum fernen Horizont, dann begann er sich zu erinnern: "Heute ist das
Meer sanft wie ein Lamm, doch das ist nicht sein wahres Gesicht. Ich erlebte
hier mehr als ein Abenteuer, und einmal hätte es mich fast das Leben
gekostet. Es war eine finstere Nacht. Vorn unten dröhnte und toste die wilde
See. Über den Ozean jagte der heftigste Sturm, den ich je in den langen
Dienstjahren auf dem Leuchtturm erlebte. Ein wütender Orkan riss Tonnen
Wasser von der Meeresoberfläche und warf sie zornig gegen die Felsen. Aber
ich musste um jeden Preis das Licht auf dem unteren Leuchtturm anzünden,
damit nicht irgendein Schiff auf den Felsen aufläuft. Ich kroch auf Händen
und Knien, um zu ihm zu gelangen und nicht dabei vom Sturm ins Meer gefegt
zu werden. Die Apparate maßen in dieser Zeit eine Windgeschwindigkeit von
160 km/h. Nur mit Anspannung der letzten Kräfte kroch ich zum Leuchtturm und
musste dort bleiben, bis der Orkan nachließ."
Der Leuchtturmwärter schwieg eine Weile und fuhr dann fort: "Kommen Sie
mit mir, ich zeige Ihnen etwas, das Sie noch nicht gesehen haben." Ein
heftiger Wind wehte über dem Kap und verfing sich in den schroffen Felsen
unterhalb des Leuchtturms. Der Wärter wälzte ein schweres Holzfass an den
Felsrand und stieß es in die Tiefe. "Vorsicht!" schrie er mich an und riss
mich heftig zurück. Ich konnte das Fass nur einige Sekunden in der Luft
hängend erblicken, dann sprang ich schon unfreiwillig zurück. Wie von
unsichtbaren Flügeln getragen flog in diesem Augenblick das Fass über unsere
Köpfe hinweg und zerschellte weit hinter uns an den Felsenriffen.
"Ich glaube, Kap der Stürme wäre die richtigere Bezeichnung für diese
Hölle", schloss der Leuchtturmwärter. "Nur der portugiesische König Johann,
der es nie gesehen hat, konnte es Kap der Guten Hoffnung taufen, um die
Matrosen zur Fahrt nach Indien, in das gelobte Land des Golds, der
Edelsteine und seltenen Gewürze anzuspornen"
Am Abend, wieder in Kapstadt, dachten wir noch lange an den alten Herren.
THORALF TEUBNER
November 1999
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